Ein jüdischer »Steirerbua« erobert Schanghai
Wilhelm Spielmann besaß zwei Geschäfte in der Annenstraße. Im Haus Nr. 34 durfte er fertige Kleidung verkaufen, weil er diesen Beruf erlernt hatte und dafür einen Gewerbeschein besaß. Im Haus Nr. 25 verkaufte er Maßkleidung, brauchte dafür aber einen Schneidermeister als Geschäftspartner, weil er kein Schneider war, was immer wieder zu Schwierigkeiten führte, die er mit einem Schneider in der Familien zu überwinden versuchte.
Aber weder sein Bruder Rudolf wollte dieses Handwerk erlernen, auch nicht Tochter Grete, nicht Hans. Nur bei seinem jüngsten Sohn Ernst konnte er Interesse für die Schneiderkunst wecken, für faltenfreie Saccos, gut sitzende Hosen, dicke Wintermäntel. Ob Vater und Sohn die Geschichte vom armen Schneiderlein kannten, das die Leute für einen polnischen Grafen hielten, weil es so vornehme gekleidet war?
FRITZ: Erzähl von deinem Vater. von seiner Kindheit und seiner Jugend in Graz .
SUSI: Naja, ich weiß, dass er nicht besonders gerne im Geschäft seines Vaters weitermachen wollte. Aber er fühlte sich gezwungen, dass er das soll, weil Hans ja in Spanien war. Und die Gretel studierte. Und er wollte eigentlich nicht Schneider sein, er hatte keine große Lust.
Helmut Spielmann:
"Shanghai -
eine Jugend im Exil"
Herausgegeben von
Gerald Lamprecht und
Ingeborg Radimsky.
Clio Verlag Graz 2015
Preis: Euro 18.00
FRITZ: Aber er hat in Sydney dann aber doch in der Textilindustrie gearbeitet
SUSI: Ja, das war, was er konnte.
FRITZ: Und welche Position hatte er da?
SUSI: Am Anfang glaube ich Schneider, aber dann hat er noch studiert und wurde dann production-manager. Da waren so ungefähr 50 Arbeiter und he was the manager.
FRITZ: Firma?
SUSI: Ernest Hiller, mens apparel.
FRITZ: Hat er deine Mutter in Sydney kennen gelernt?
SUSI: In Hamburg. Er war noch in der Britischen army und da war so eine Party.
FRITZ: Wie alt war deine Mutter damals?
SUSI: Ich glaube erst 24. Und er war 9 Jahre älter als meine Mutter.
FRITZ zum Foto: Eine sehr, sehr schöner Frau. Sie lebt noch?
SUSI: Ja, sie ist jetzt 88 und spielt immer noch Tennis.
FRITZ: Hahaha. Herrlich. Und aus welcher Familie kam deine Mutter?
SUSI: Behrens. Ihr Vater hieß Rudolf Behrens. Er besaß ein fish-canning-geschäft. Ziemlich groß. Konservieren. Und dann in Deutschland verkauft in cans.
FRITZ: Besaß er Häuser?
SUSI: JA, ein paar Häuser. There was a factory and then there was a big garden and then four houses. Da lebte seine Mutter, seine Schwester, seine Familie.
FRITZ: Arbeitete die Familie im Betrieb?
SUSI: Nein, er hat sie nur unterstützt.
FRITZ: Und war das für ihn oder für die Familie Behrens nicht sehr ungewöhnlich, dass da ein Jude in britischer Uniform ein Österreicher, seine Frau, seine Tochter nach Australien verschleppt?
SUSI: Überhaupt nicht.
FRITZ: Überhaupt nicht.
SUSI: Ja. Und ich glaube auch seine Familie war nicht sehr überrascht, dass er ein deutsches Fräulein heiratete, aber, so ist es: True love.
FRITZ: Haben sie in Deutschland geheiratet?
SUSI: Ja. In Hamburg, nach einem Jahr.
FRITZ: Aha. Also das heißt: Du kamst 1950 zur Welt, im Januar, an welchen Tag?
SUSI: 29.
FRITZ: Sie kannten sich dann schon...
SUSI: Zwei Jahre.
FRITZ: War er da noch in der Armee?
SUSI: Am Anfang schon. Ich weiß nicht wie lange, aber dann kam es irgendwann zum Abschied von der Army. Er kaufte sich einen Lastwagen und dann noch einen zweiten. Und dann hatte er, glaube ich, so zwei oder drei Liefertrucks besessen und ein Speditions- Geschäft betrieben.
FRITZ: Was erzählte er von Palästina, von seinem Eintritt in die britische Armee? Was erzählte er von der Zeit zwischen Graz und Hamburg?
SUSI: Nicht viel. Er war in Ägypten, auch in Italien.
FRITZ: Er war zunächst in Palästina mit seinen Eltern eingewandert, oder kam er allein?
SUSI: Nein, er kam mit seinen Eltern, die Gretel kam danach, sie war auch in Italien, sie war Ärztin in Italien für eine Weile. Und ich weiß, er war im Gefängnis für eine Weile in Palästina. Aber was er mir erzählte, weiß ich nicht, ich war zu jung.
FRITZ: Du erzähltest, dass du als Kind in Sydney immer wieder als Nazi beschimpft wurdest.
SUSI: Ja, in der Schule
FRITZ: Beispiel?
SUSI: Es war, ich glaube mein erstes Jahr auf der High School, da musste ich zwölf oder elf gewesen sein und da ging ich an einem Haus vorbei und da kam ein Junge raus und der hat so über die Straße gerufen "Nazi, Nazi", weil er wusste, dass meine Mutter Deutsche war. But it didn't upset me that much, I was more frustrated. Weil ich wusste, mein Vater war in der britischen Armee.
FRITZ: Dein Vater ist ja als Jude aufgewachsen und wurde als Jude getauft, hat er den Glauben beibehalten?
SUSI: Nein, Überhaupt nicht.
FRITZ: Als deine Mutter ihn kennenlernte, hat er sich da noch als Jude verstanden?
SUSI: Ich glaube, das spielte keine große Rolle. Und ich glaube die Familie war auch ganz liberal, nicht orthodox, not very strict.
FRITZ: Und wie ging es bei dir weiter? Du hast eine Volksschule besucht in Sydney?
FRITZ: Und dann eine...
SUSI: Highschool. Fertig gemacht und dann...?
FRITZ: Wolltest du einen Beruf erlernen?
SUSI: Ja, ich wollte damals Sportlehrerin werden. Aber dann sind meine Mutter und ich nach Europa gegangen, ich war damals 18.
FRITZ: Wohin nach Europa?
SUSI: Ach, überall. England, Deutschland, Italien, Frankreich.
FRITZ: War das nur eine Reise oder..?
SUSI: JA, eine Reise. Meine Mutter blieb so, sechs Monate und ich blieb noch so neun Monate länger.
FRITZ: ...und wo genau?
SUSI: In München, da habe ich eine Handelsschule besucht. Dort wohnte auch der Bruder von meinem Opa und ich war am Wochenende meistens dort.
FRITZ: Mütterliche Seite?
SUSI: Von Rudolf, dem Vater meiner Mutter. Und ich habe in München gewohnt, in so einem Wohnhaus für junge Damen zwischen 18 und 25, so ungefähr. Das war lustig damals.
FRITZ: Wurdet ihr sehr behütet?
SUSI: Was heißt behütet? Wir mussten um zehn Uhr zu Hause sein. Nur zu Fasching durften wir länger weg sein.
FRITZ: Nach der Handelsschule ...
SUSI: ...bin ich wieder nach Sydney gegangen.
FRITZ: Wolltest du in die Firma, in der dein Vater arbeitete?
SUSI: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte dann Wander-Lust und ich wollte dann nicht mehr studieren sondern arbeiten um dann Geld zu verdienen, damit ich dann wieder reisen konnte.
FRITZ: Also reisen war dein Hobby?
SUSI: Ja.
FRITZ: Und was hast du da gearbeitet?
SUSI: Zuerst für eine deutsche Firma Weselhütte oder Wolf (bin mir nicht ganz sicher ob der Name ganz genauso stimmt), die haben so mining, so ganz große Ausrüstung geliefert. Nach Australien, für das mining in Nothern Territory.
FRITZ: Geräte?
SUSI: Sehr große Geräte
FRITZ: Und was hast du bei dieser Firma gemacht? Als Übersetzerin?
SUSI: Ja, ja und PA, personal assistant. Und dann konnte ich so bisschen Deutsch, Kurzschrift, das habe ich in München gelernt. Und dann mit 22 bin ich nach München zur Olympiade, da habe ich gearbeitet, in der Turnhalle.
FRITZ: Was hast du da gemacht?
SUSI: Alles, für die ganzen englischen Teams habe ich übersetzt. Und da war ein Franzosin und eine Deutsche und ich für das Englisch.
FRITZ: Und das waren einige Monate oder wie lange hast du da gearbeitet?
SUSI: So ungefähr vier Monate
FRITZ: Und danach?
SUSI: Dann bin ich nach Schottland und im Anschluß habe ich Gretel in Israel besucht. Und bei ihr so zwei Monate gewohnt in Tel Aviv, und dann auf einem Kibbuz war ich so drei Monate.
FRITZ: Wo lag der Kibbuz?
SUSI: Im Norden von Israel, in der Nähe von Mahanit.
FRITZ: Waren das deutsche Juden, polnische oder russische Juden?
SUSI: Von überall, und nicht nur Juden, auch junge Leute von Schweden und, ein billiger Urlaub für die Jungen, das war so, 72.
FRITZ: Okay.
SUSI: Dann kamen die griechischen Inseln und der seven day war broke out und Gretel hat sich ein bisschen geärgert, dass sie für mich verantwortlich ist .
FRITZ: Warum hat sie sich geärgert?
SUSI: Ja, weil Krieg in Israel war und dann hat sie mir gesagt, ich soll nach Hause gehen, raus aus Israel. Das es nicht mehr sicher war. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren.
FRITZ: Nach Sydney.
SUSI: Dann habe ich so für eine Firma in der Stadt gearbeitet, so jewellery and silverplating company. Und der war ein Jude. Ken Heker (weiß nicht ob das richtig geschrieben ist). Der war auch im Theater, das hat er sich aber nicht ausgesucht, sondern nur coinsident.
FRITZ: Was gemacht ?
SUSI: Wieder personal assistant, general manager.
FRITZ: Wie lange hat das ungefähr gedauert?
SUSI: ich glaube ein Jahr. Davor habe ich für einen Dermatologen gearbeitet, so einen Hautarzt in der Stadt, für ein Jahr.
FRITZ: Was meinst du eigentlich mit personal assistant?
SUSI: Für einen Arzt ist es so, man sagt 'Hallo', vereinbart Termine, so wie eine Sekretärin.
FRITZ: Wie alt warst du da ungefähr?
SUSI: So 23, 24.
FRITZ: Wo andere einen normalen Beruf erlernen wollen. Entweder Ingenieur oder Doktor, warst du immer noch so auf Wanderung, warst sehr viel unterwegs. Hast du zu dem Zeitpunkt irgendein Berufsziel schon gehabt?
SUSI: Nein, überhaupt nicht. Leider.
FRITZ: Was heißt leider, warum? Was interessierte dich damals besonders? Du hattest sehr viel Welt schon gesehen, sehr viel herumgekommen.
SUSI: Ja, sehr viel.
FRITZ: Warst eigentlich noch so auf der Suche nach was immer.
SUSI: Nein, ich hatte keine große ambition.I never had a goal of any kind of proffesion.
FRITZ: Hast du von zu Hause Geld bekommen?
SUSI: Nein, ich musste immer selbst verdienen. Ich hatte Spaß dabei auch.
FRITZ: Hast du sehr viele Männer-Freunde gehabt in der Zeit?
SUSI: Jaja. Und damals konnte man überall einen Job finden. Das war kein Problem.
FRITZ: Hast du Sport betrieben?
SUSI: Ja, Tennis, Squash, nicht Schifahren, schwimmen, ja. Aber meistens Tennis, wie meine Mutter.
FRITZ: Hat deine Mutter je einen Beruf erlernt?
SUSI: Nein, nein. Sie war zu Hause. Aber sie hat immer kleine Sachen gemacht. Kennst du Avon (weiß nicht ob das so richtig geschrieben ist)? Das ist so eine House-to-house Make-up. Aber nicht im Laden verkauft sondern von door to door.
FRITZ: Und was hat dein Vater, was haben deine Geschwister zu deinem Leben gesagt? Kritisierten sie dein Leben? Haben sie dir gesagt 'lern einen Beruf' oder waren sie beeindruckt, wie lässig du warst? Wie wurdest du in der Familie eingeschätzt?
SUSI: Bisschen bohemian, ich meine, zu dieser Zeit war alles ein bisschen für junge Leute
FRITZ: In welchem Jahr hast du dann deinen späteren Mann kennengelernt?
SUSI: Ende 75. In einer Weinbar Restaurant. Er war Sänger.
FRITZ: In welchem Ort?
SUSI: Sydney.
FRITZ: Was hat er gesungen? Schlager? Unterhaltungsmusik?
SUSI: So etwas zwischen Ked Steven, Bob Dylan, Joanne Mitchwell (weiß auch hier nicht ob alles richtig geschrieben ist, aber ich höre jetzt auf das überall dazuzuschreiben), aber auch Eigenes.
FRITZ: Gleich alt?
SUSI: Fünf Jahre älter.
FRITZ: Er kommt aus?
SUSI: Libanon.
FRITZ: Als Immigrant oder
SUSI: Seine Familie ist in Australien. Ausgewandert, ja.
FRITZ: In Deutschland oder Österreich wird die Partnerwahl von den Eltern meisten kommentiert.
SUSI: Nein, überhaupt nicht. Das wäre nicht klug. Und ich war mit ihm so 10 Jahre zusammen bevor wir heirateten.
FRITZ: Das heißt 75 habt ihr geheiratet und ihr wart schon 65 zusammen?
SUSI: 75 haben wir uns getroffen und dann 85 haben wir geheiratet. Und dann war er auf der Universität und studierte.
FRITZ: Psychologie
SUSI: Ja.
FRITZ: Und was hast du in der Zeit gemacht? Beruflich, oder, wie hast du dein Geld verdient?
SUSI: Da arbeitete ich für einen sehr jungen Mann und wir wurden dann sehr gute Freunde. Er hat eine Firma gegründet, management consultancy. So der contracted out management. Wir haben nur zu zweit angefangen und dann wurde die Firma immer größer und ich habe da für 11 Jahre gearbeitet. Und tu ich auch immer noch.
FRITZ: Das heißt also, deine Sprachkenntnisse und deine vielen Reisen haben dich immer in dem Bereiche geführt, in denen es um Kontakte zwischen Menschen geht, um die Herstellung von Kontakten.
SUSI: Ja.
FRITZ: Und wann kam deinen Tochter zur Welt?
SUSI: 1991.
FRITZ: Sechs Jahre nachdem ihr verheiratet ward.
SUSI: Ja.
FRITZ: Das heißt, dein Vater hat die Enkeltochter noch mitbekommen?
SUSI: Ja, kurz. Sie ist Mai 91 geboren und er ist im November 92 gestorben.
FRITZ: Wer bei euch in der Familie hatte das Sagen?
SUSI: Beide gleich. Aber meine Mutter war strenger.
FRITZ: Und was hatte sie für kulturelle Neigungen?
SUSI: Am Anfang hat sie zu Hause ein bisschen genäht. Die hatten ja gar nichts damals. Inzwischen, bevor meine Mutter und ich in Australien ankamen, hat mein Vater am Bahnhof gearbeitet, sauber gemacht und Tickets verkauft.
FRITZ: In Sydney?
SUSI: Ja.
FRITZ: Und wie lange ungefähr?
SUSI: Nicht lange. Ich weiß es nicht genau. Und dann hat er ein Job gefunden bei einem Schneider. Klein, heißt er, Walter Klein.
FRITZ: Und was hat er da gemacht? Genäht?
SUSI: Ja.
FRITZ: Und er konnte noch nähen?
SUSI: Ja, gut. Und die Firma Ernest Hiller hatte sehr geschmackvolle Sakkos für Männer.
FRITZ: War das ein Maßschneider oder eine Konfektion?
SUSI: Konfektion, für Kaufhäuser. Es war ziemlich groß, diese Firma.
FRITZ: Erzähl doch mal die Geschichte. Wie du als baby nach Sydney gebracht worden bist.
SUSI: Das Schiff nach Sydney fährt um Westaustralien herum, ostwärts. Melbourne und dann Endstation Sydney. Und als Überraschung für meine Mutter ging mein Vater hinunter nach Melbourne und hat am Schiff passage gebucht, Melbourne zurück nach Sydney, am Schiff. In Melbourne hat meine Mutter so eine Rundfahrt gemacht und auch das Baby, da waren Leute am Schiff, die hatten mich ganz gern, ich war süßes Baby gewesen, habe nie geweint und war ganz zufrieden, happy Baby und die cabincrew, die haben auf mich aufgepasst und mein Vater hat die Kabinennummer, wo meine Mutter und ich wohnten und wollte hinein, aber die cabincrew ließen ihn nicht hinein, sie kannten ihn nicht. Er war ein fremder Mann, sagte er ist der Vater von dem Kind, aber die wussten das nicht genau und er musste warten bis meine Mutter zurück zum Schiff kam und da sah er mich zum ersten Mal. Das war Mai 1950. Da war ich 4 oder 5 Monate alt.
FRITZ: Wie lange hat die Schifffahrt gedauert?
SUSI: Ich glaube ungefähr 5 Wochen. Nein, 4.
FRITZ: Ging das Schiff von Hamburg aus?
SUSI: Ja und durch den Sueskanal und dann um Australien herum. Westküste und dann zur Ostküste.
FRITZ: Warst du die schönste in deiner Familie?
SUSI: Nein, mein Bruder. Meine Mutter war sehr schön. Und mein Vater war auch ein handsome man.
FRITZ: Aber ich habe also ein Foto von deiner Mutter gesehen, da war sie schon etwas älter aber sie sah immer noch gut aus.
SUSI: Ja. Sie ist vollkommen fähig
FRITZ: Sie erinnert sich immer noch dass du ihre Tochter bist
SUSI: Och, und wie!
FRITZ: Spricht sie noch Deutsch?
SUSI: Nur Englisch, aber können tut sie es noch. Und meine Geschwister könne kein Wort Deutsch.
FRITZ: Und mögen der Guy und dein Mann einander, weil der Guy ja der einzige ist, der Musiker ist wie dein Mann?
SUSI: Nein, Guy macht das als Beruf und ist sehr diszipliniert, mein Mann ist nicht so ein feiner Musiker. Mehr casual.
FRITZ: Singt er immer wieder noch?
SUSI: Ja. Viele Freunde von uns sind Musiker.
FRITZ: Seine Familie ist auch nach Australien ausgewandert. Was war der Beruf seines Vaters?
SUSI: Ich bin mir nicht sicher. Als wir uns getroffen haben, der war wieder in Libanon
FRITZ: Wo genau in Libanon?
SUSI: Im Norden, in den Bergen. Und er kam nur nach Australien zu Besuch, aber seiner Mutter hat mit uns gewohnt. Am Anfang immer nur zu Besuch aber als sein Vater in Libanon starb, hat er sie mach Australien gebracht und sie hat mit uns gewohnt. Wenn wir mit arabischen Leute zusammen kommen, und auch Moslems dabei sind, stellt er mich immer als Jüdin vor. Und wenn Juden dabei sind, stellt er mich als Deutsche vor. He likes to stir the pot.
Abschrift: Isa Knilli
Foto: Jo Knilli
Kommentar des Militärhistorikers
Lieber Professor Knilli!
Besten Dank für das bunte und große Osterei - es kam, obgleich geteilt, gut an. Folgend zwei kleine Bemerkungen.
Dass Spielmann nach 1945 als Soldat der britischen Armee im Rahmen der alliierten Besatzungstruppen in Deutschland eingesetzt war, war kein Einzelfall. Ich weiß von mehreren Männern und auch Frauen aus Österreich, und durfte einige auch noch selbst kennenlernen, die das Land in der Zwischenkriegszeit verlassen hatten oder 1938/39 vertrieben wurden, und die 1945 als britische, südafrikanische oder US-Soldaten nach Österreich oder Deutschland kamen. Wegen ihrer Sprachkenntnisse waren sie für die Besatzungsverwaltung natürlich besonders wichtig.
(...)
Das "Büro für Auslandssteirer" ist im übrigen nur eines von mehreren Beispielen, dass man in den letzten Jahrzehnten in Österreich nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene die Bedeutung der Auslandskontakte stärker erkannt hat als früher.
Herzliche Grüße nach Berlin, wie stets,
Ihr Erwin Schmidl
Antisemitismusforschung
www.feuchtwanger.de
www.ich-war-jud-suess.de
Fortsetzung im Mai in der Folge 11/12 auf www.DerInternetlink.de
Dear Susi,
We met in the train from Vienna to Graz in 2013. There you told me the story of your families' eviction from Austria in 1938 and their emigration to Australia. Meanwhile the situation in Austria has changed. In 2016 there are no thousands of Austrians being expelled, on the contrary, some of the many emigrants are welcomed in this country. How is the situation in Australia now? Is it still a welcoming country? From the expats commissioner of Styria, Dr. Renate Metlar, I got interesting reports on the contacts between Sydney and Styria.
Through these events and through the Australians from Styria there could be achieved sympathy. The contact to the universities abroad and the economic connections were intensified. But Styria was also moved in the spotlight through the joy caused by our folksongs and culture (read more about this in the attached newspaper article)
About that I would like to talk to you in Sydney. When this year would my visit be most convenient?
Love, Isa
Dear Isa
Of course I would be very happy to meet up with you and will make myself available whenever it fits in with your Sydney itinerary. Just let me know when. The newspaper article is very interesting thank you.
Please give your Opa a big hug from me when you see him next.
Love, Susi
Dear Susi! Thanks a lot! I am 16 years old now and I am attending a pretty regular highschool, "Auf der Schmelz" with a specification on science. I speak german, english (obviously), czech and spanish, since I spent last spring in Spain. I love to travel although after spending five months in Valladolid with a short visit in Portugal I have not come around to many new places. In my free time I do not only enjoy meeting up with friends. I am in a youth group called Generation Earth, that plans and implements different projects to raise awareness to various enviromental issues. Next to that I also get myself involved a bit in the current situation with the refugees for example through organizing various actions with a initiative that formed at my school to support specific refugees. In the time that is not filled with all already named activities I play the guitar, play volleyball and take dancing lessons. I have been writing for the "Internetlink" since september 2015. You can find my articles on the webpage (www.derinternetlink.de)
Hugs, Isa
Ein Imbißladen
in Sydney
"Endlich, nach mehrfachem Verstellen der Armbanduhr und geziemender Bewunderung des südlichen Sternenhimmels, beginnt unter lautstarkem Getute der Schiffssirenen die Einfahrt in den Hafen von Sydney, von dem angesagt ist, daß er sich durch besondere Schönheit auszeichne, was dem Alphons so lang wie dünn ist. Und da Australien nicht wie Amerika über eine Freiheitsstatue verfügt, kann er auch nicht von Jubelgeschrei, Hallelujas und Hosiannas berichten. Im übrigen fühlt er sich in keiner Weise befreit, sondern widmet sich unter dem Schein der grölenden Sonne Australiens schweißgebadet der Beantwortung der zahllosen Fragen stämmiger, kurzbehoster Zollbeamter.
So, und nun steht er, von seinen zwei Koffern umrahmt, auf der von Menschen und Autos wimmelnden Werft und fragt sich: Wohin? Es währt nicht allzulange, und er wird zu einer Gruppe herangewunken, die bei einem mit Schreibstift und Papierkram ausgestatteten Menschen steht. Dieser entpuppt sich als Repräsentant einer Australian Jewish Welfare Society, und nach dem Ton, den er anschlägt, muß es sich wohl um eine Art offizielle Aufnahme-, Registrierungs-, Hilfs- oder Unterbringungsinstanz handeln.
In der Tat wird er nach Vorzeigen von Paß und Einreisepapieren auf einer Liste abgehakt, mitsamt den anderen dringend ermahnt, um Himmels willen in der Öffentlichkeit kein Wort Deutsch, sondern nur Englisch zu sprechen oder, wenn man es nicht kann, den Mund zu halten, und aufgefordert, sich zur Registrierung auf dem Büro zu melden, und im übrigen sei in einer sich Pitt Street nennenden Straße unter der Nummer Sowieso auf der ersten Etage ein Treffpunkt eingerichtet, wo man über die Mittagszeit eine Tasse Tee und eine mit Butter bestrichene Semmel oder so was ähnliches zum Preise von drei Pence sowie gute Ratschläge von freiwilligen Mitarbeitern der Wohlfahrtsgesellschaft entgegennehmen könne.
Auf die ganz natürliche Frage nach einem billigen Hotel weist ihn der gestrenge Flüchtlingsbewacher darauf hin, daß Australien kein großzügig mit Hotels bestücktes Tourismusland sei, es für Unbemittelte genügend möblierte Zimmer gebe und der Herr, der da drüben stehe, ihm bei der Suche nach einem solchen gerne behilflich sein werde, wobei sich dann herausstellt, daß »der Herr da drüben« der Vermieter eines Zimmers ist, zu dem er geführt wird. Das nach seinen Vorstellungen durchaus preiswerte Zimmer erweist sich als eine zur Straße gelegene überdeckte Veranda, zu der man mühelos nach Durchschreiten des stets mit irgendwelchen Menschen angefüllten, sich »sitting room« nennenden und mit Plüschsofa und -sesseln ausstaffierten Wohnzimmers gelangt, das er je nach den Umständen bekleidet oder nur leicht beschürzt zu durchschreiten hat, falls ihn dringende Bedürfnisse ins Bad oder auf die Toilette rufen. Was soll es, sagt er sich, so sind nun mal die australischen Sitten: Zähne putzen kann man überall, Hauptsache, man putzt sie.
Da das australische Völkchen angesichts der klimatischen Bedingungen gerne ein Leben im Freien führt, haben Außenveranden selbstverständlich keine Vorhänge, so daß ihm schon in der Herrgottsfrühe seines ersten australischen Sommertages die Sonne gütigst in die Augen blinzelt. Zusammen mit einer Bande kreischender Kinder und einer unfrisch dreinblickenden Mutter verzehrt er sein dem englischen Breakfast ähnliches Frühstück - dieses barbarische Gemisch aus geschmorten Würsten, aufgeweichtem Stockfisch, in Speckfett schwimmenden Eiern, hochgesüßter Orangenmarmelade und in Milch ertränktem Tee - und begibt sich guten Mutes zur Anlaufstelle der jewish Welfare Society in die City. Auf dem ihm angewiesenen Weg sieht er viel Grün, uniform aussehende Häuschen mit Vorgarten und dann in der City, dem Kern der Stadt, hohe und niedrige Gebäude, was in ihm allemal Erinnerungen an seinen Aufenthalt als Schüler in London weckt. Sie ziehen an ihm höchst unwesentlich vorüber, ebenso belanglos wie eine an dieser Stelle zu erwartende gründliche Schilderung des Ortes, an dem er einen Großteil seines Lebens zu verbringen haben wird. Er versagt sie sich, da er weiß, daß das heutige Sydney in keiner Weise dem damals noch von internationaler Städteplanung und Architektur kaum beleckten Aussehen entspricht, und er nicht gewillt ist, als Entwicklungsländer-Historiker oder Verfasser eines dem Fremdenverkehr dienlichen Besinnungsaufsatzes in Erscheinung zu treten. Er wird noch oft genug Gelegenheit haben, ihn betreffende Situationsbeschreibmagen im Zusammenhang mit Zeugnissen über die Disharmonie zwischen abbröckelnden äußerlichen Erscheinungsformen und ungestümer innerlicher Verfassung darzutun.
Es war nicht gerade epochemachend, was ihm und den anderen Hilfestellung erwartenden Emigranten von dem einen oder anderen Wohlfahrtsherrn in beschwingten Ansprachen in dem Tee- und Brötchenraum vorgesetzt wurde. Unentwegt stimmten sie Lobgesänge über die Herrlichkeit und Freizügigkeit des Landes sowie über angebrachte Dankesbezeugungen an, erwiesen sich aber nur selten als Ratgeber oder Vermittler für Arbeitsstellen. Das war schon recht so, denn schließlich waren die dort ihre Mittagsstunde opfernden Herren freiwillige Helfer ohne Eigeninteresse, nur von einer auf sich selbst blickenden Wohltätigkeitsmoral geleitet, nach der es sich als Jude gehört, vertriebenen Juden irgendwie beizustehen. Die mit jovialem Schulterklopfen verbundenen Worte: »You will be allright« klingen ihm heute noch wie ein Motto für die Totalität australischer Lebensauffassung in den Ohren: jeder für sich selbst; niemandem verpflichtet; sieh, wie du weiterkommst; wird schon werden; im Lande der Pioniere verreckt man nicht - das war, ins Reale übersetzt, der Kern dieser im Brustton der Überzeugung aufgestellten Leitplanke. Sie sollte sich ihm einprägen, denn er wollte ja »allright« sein. Auf dem Wege dorthin waren im Augenblick zwei Aufgaben zu lösen: ein Job für ihn, eine Einreiseerlaubnis für die Eltern."
Aphons Silbermann schließt seine in der Erform geschriebene Autobiographie mit einem von Friedrich Knilli angeregten Geständnis, das ihm viele Kollegen die so genannte Freundschaft kündigten.
"Was er sich im Leben auch zusammengelogen hat - unnötig zu betonen, wie anders hätte sich der Jude Silbermann im Überleben auch bewähren können -, jetzt bedarf er der Lüge nicht mehr: Durch sein Er spricht die Wahrheit seines Ichs:
Honi soit qui mal y pense.
Finis in meinem jüdischen Jahr 5750."
Für Friedrich Knilli
Quelle: Alphons Silbermann
Verwandlungen
Eine Autobiographie. 1989
Der berühmteste
Auslandssteirer
Quelle: Eva Rinaldi
http://www.flickr.com/photos/evarinaldiphotography/9031269705/
CC BY-SA 2.0
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26631495
Im Referat Kommunikation der Landesverwaltung sitzt ein "Heer" von Steirern, aber kaum jemand, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit im Ausland kümmern könnte. Das gilt auch für die Abteilung 9: Kultur, Europa, Außenbeziehungen, was bei der großen Jubliläumsveranstaltung am 11. Mai 2005 peinlich zum Vorschein kam. Denn da ging es um "60 Jahre Friedensschluss, 50 Jahre Staatsvertrag und zehn Jahre EU- Mitgliedschaft". Anwesend war sogar der Bundespräsident, aber die großen Auslandssteirer der Nachkriegsperioden fehlten, was dem Festredner, einem ungarischen Juden sofort auffiel. Sein erster Satz war eine Watschen für Frau Landeshauptmann Klasnic (*1945) und ein Dankeschön für einen abwesenden Oststeirer: "Ich bin dem berühmtesten Auslandssteirer, Arnold Schwarzenegger, sehr dankbar. Er hat bewiesen, dass man mit einem dicken steirisch-österreichischen Akzent Gouverneur des sechstreichsten Staates der Welt sein kann."
Diese Blamage kaschierte Frau Landeshauptmann sehr schnell mit der Gründung einer neuen Behörde: Büro für Auslandssteirer. Es wurde im Juli 2005 eingerichtet. Die Leitung bekam eine Frau mit einer Naturbegabung und besonderen Bildung: Renate Christine Metlar. Dr. Phil. (1971), spricht Englisch und Französisch und baute die Behörde systematisch zu einem Metlar Bureau of Investigation aus mit einem weltweitem Netzwerk von Auslandsteirern in allen Berufen. Wann immer ein Steirer einen Geschäftspartner im Ausland suchte, bekam er Daten vom Büro Metlar. Und auch der Auslandsteirer in der Steiermark. Alles diskret und verdeckt. Die Informationsgewinnung erforderte oft Methoden der Geheimdiplomatie. Die Nähe zu Landesverrat und Spionage verlangte Präzision. Wichtig sei, "dass die Menschen weiterhin mit ihrem Heimatland verbunden sind und in Kontakt bleiben und dass auch wir auf deren Ressourcen zurückgreifen können. Wir sind für sie da, wenn sie ein Anliegen haben oder Hilfe benötigen, gleichzeitig machen sie Werbung und Imagepflege für unser Land. Steirer im Ausland sind unsere Sonderbotschafter!"
Waren da auch die Spielmans bei dem unterhaltsamen Heimatabend am 15. August 2015 in Sydney? (Klick auf die unten stehende Grafik).
Vielleicht
nach Palästina
Der Weg ins Freie
Zweites Kapitel
Die Schlafzimmertür tat sich auf, Herr Ehrenberg erschien und begrüßte Nürnberger.
»Hast du schon fertig gepackt?« fragte Else.
»Fix und fertig«, antwortete Ehrenberg, der einen viel zu weiten grauen Anzug anhatte und eine große Zigarre mit den Zähnen festhielt. Erklärend wandte er sich an Nürnberger. »Wie Sie mich da sehen, fahr ich heute nach Korfu... vorläufig.
(...)
»Gedenken Sie den ganzen Winter fortzubleiben?« fragte Nürnberger.
»Es wär' möglich. Ich hab nämlich die Absicht weiter zu fahren, nach Ägypten, nach Syrien, wahrscheinlich auch nach Palästina. Ja, vielleicht ist es nur, weil man älter wird, vielleicht weil man soviel vom Zionismus liest und dergleichen, aber ich kann mir nicht helfen, ich möcht Jerusalem gesehen haben, eh ich sterbe.«
Frau Ehrenberg zuckte die Achseln.
»Das sind Sachen«, sagte Ehrenberg, »die meine Frau nicht versteht, - und meine Kinder noch weniger. Was hast du davon, Else, du auch nicht. Aber wenn man so liest, was in der Welt vorgeht, man möcht selber manchmal glauben, es gibt für uns keinen andern Ausweg.«
»Für uns?« wiederholte Nürnberger. »Ich habe bisher nicht die Beobachtung gemacht, daß Ihnen der Antisemitismus auffallend geschadet hätte.«
»Sie meinen, weil ich ein reicher Mann geworden bin? Wenn ich Ihnen sagen möcht, ich mach mir nichts aus dem Geld, würden Sie mir natürlich nicht glauben, und Sie hätten Recht. Aber wie Sie mich da sehen, ich schwör Ihnen, die Hälfte von meinem Vermögen gäb ich her, wenn ich die ärgsten von unsern Feinden am Galgen säh.«
»Ich fürchte nur«, bemerkte Nürnberger, »Sie würden die Unrichtigen hängen lassen.«
»Die Gefahr ist nicht groß«, erwiderte Ehrenberg, »greifen Sie daneben, erwischen Sie auch einen.«
»Ich bemerke nicht zum erstenmal, lieber Herr Ehrenberg, daß Sie dieser Frage nicht mit der wünschenswerten Objektivität gegenüberstehen.«
Ehrenberg zerbiß plötzlich seine Zigarre und legte sie mit wutzitternden Fingern auf die Aschenschale. »Wenn mir einer damit kommt... und gar... entschuldigen Sie... oder sind Sie vielleicht getauft...? Man kann ja heutzutag nicht wissen.«
»Ich bin nicht getauft«, erwiderte Nürnberger ruhig. »Aber allerdings bin ich auch nicht Jude. Ich bin längst konfessionslos geworden; aus dem einfachen Grunde, weil ich mich nie als Jude gefühlt habe.«
»Wenn man Ihnen einmal den Zylinder einschlage auf der Ringstraße, weil Sie, mit Verlaub, eine etwas jüdische Nase haben, werden Sie sich schon als Jude getroffen fühlen, verlassen Sie sich darauf.«
(...)
»Es wird Sie sicher freuen zu erfahren«, wandte sich Ehrenberg an Nürnberger, »daß auch mein Sohn Oskar ein Antisemit ist.«
Frau Ehrenberg seufzte leise. »Es ist eine fixe Idee von ihm«, sagte sie zu Nürnberger. »Überall sieht er Antisemiten, selbst in der eigenen Familie.«
»Das ist die neueste Nationalkrankheit der Juden«, sagte Nürnberger. »Mir selbst ist es bisher erst gelungen, einen einzigen echten Antisemiten kennen zu lernen. Ich kann Ihnen leider nicht verhehlen, lieber Herr Ehrenberg, daß der ein bekannter Zionistenführer war.«
Ehrenberg hatte nur eine vielsagende Handbewegung.