Ein jüdischer »Steirerbua« erobert Schanghai
Rudolf Spielmann war nicht nur Helmuts Vater, sondern übernahm diese Rolle auch schon bei den Kindern seines Bruders Wilhelm. Denn der Altersunterschied zwischen den beiden Brüdern war so groß, dass Wilhelms Kinder Rudolf für ihren Vater und ihren Vater für ihren Großvater halten konnten. Außerdem war Rudolf beliebter bei den Kindern als deren Vater. Denn er war sportlich und konnte tolle Geschichten von Krieg und Revolution erzählen. Er war ihr geistiger Vater. Im Gegensatz dazu war Wilhelm ein Fettsack und ein Langweiler. Er erzog seine Kinder zu ehrenwerten Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in einer antisemitischen Umgebung. Auch in den Jahren des Ständestaates, der Vaterländischen Front.
Diese Erziehung zur jüdischen Anpassung bekam auch Sohn Hans, 1914 geboren. Aber sie motivierte ihn nicht, Mitglied einer jüdischen oder zionistischen Jugendorganisation in Graz zu werden. Er engagierte sich vielmehr beim Aufbau eines kommunistischen Jugendverbandes und wurde Trotzkist. Das Ergebnis: Mit 20 Jahren saß er bereits sechs Monate im Knast, 1936 wieder wegen Geheimbündelei. Danach emigrierte er in die CSR und 1938 weiter nach Spanien, wo er in der 11. Internationalen Brigade, 3. Bataillon gegen die Francofaschisten kämpfte. Nach dem Sieg der Faschisten flüchtete er von Barcelona nach Montauban, wurde aber von der Gestapo aufgegriffen und nach Auschwitz verschleppt, 1944 in das Arbeitslager Blechhammer. Da arbeitete er am Bau für den Chemiekonzern Oberschlesische Hydrierwerke AG. 1945 wurde er in das Lager Groß-Rosen deportiert und weiter in das KZ Buchenwald, wo er 1945 starb.
Helmut Spielmann:
"Shanghai -
eine Jugend im Exil"
Herausgegeben von
Gerald Lamprecht und
Ingeborg Radimsky.
Clio Verlag Graz 2015
Preis: Euro 18.00
Dass er Jude war und Kommunist wurde, überraschte die Polizei immer wieder. Am 22. Februar 1936 berichtete ein Grazer Polizist:
"Als Organisatoren des K.J.V. wirken besonders eifrig die jüdischen Mitglieder desselben, besonders sind es Hans Spielmann und Walter Kohn, die eine eifrige Tätigkeit entfalteten. Der K.J.V. (Kommunistischer Jugend-Verband) gilt innerhalb der K.P.Oe. als so genannte Stossbrigade oder Sturmtrupp, dem gewissermaßen die Aufgabe zufällt, die kommunistische Bewegung vorwärts zu tragen. Da diese Jugendorganisation besonders radikale Elemente in seinen Reihen hat, muss sie als gefährlich angesehen werden." (Staatspolizeiliches Büro 12Vr-772/36)
Für Helmut Spielmann war Hans der große Bruder. Auch wenn Helmut noch zu klein war, um dessen Gespräche über Hitler und Dolfuß, Stalin und Trotzki zu verstehen. Was er aber mitbekam, das Polizeiaufgebot bei den zahlreichen Hausdurchsuchungen in der Annenstraße 34, die Verhaftungen im Geschäft. Und sicher unvergesslich der große Auftritt von Hans mitten im Herrenbekleidungsgeschäft seines Vaters. Er stellte sich mitten unter die Kunden und schrie: "Ich bin Kommunist." (Landesgericht für Strafsachen Graz/ Abt.5 5 Vr772/36)
Kommentar des Militärhistorikers
Lieber Professor Knilli!
Besten Dank für Ihre Nachricht. Für Trotzki fühle ich mich ja nicht wirklich zuständig, aber eine Formulierung ist mir aufgefallen: "Er erzog seine Kinder zu ehrenwerten Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in einer antisemitischen Umgebung. Auch in den Jahren des Ständestaates, der Vaterländischen Front." Das ist natürlich keineswegs ein Widerspruch - im Gegenteil. So sehr manche Juden - vor allem Intellektuelle - wohl gewisse Sympathien für Sozialisten oder Kommunisten gehabt haben mögen (was ihnen ja von nationalsozialistischer Seite immer wieder zum Vorwurf gemacht worden ist), so sehr sahen viele Juden wie auch viele Konservative oder Bürgerliche im Ständestaat einen Schutz und eine Verteidigung gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Daher unterstützten sie den Ständestaat (bis zu Geldspenden für die dann abgesagte Volksbefragung am 13. März 1938), und der "Bund jüdischer Frontsoldaten" als eine der wichtigsten jüdischen Organisationen der 1930er Jahre bemühte sich sogar um einen kollektiven Beitritt zur Vaterländischen Front.
Beste Grüße aus Wien, wie immer,
Ihr Erwin Schmidl
Antisemitismusforschung
www.feuchtwanger.de
www.ich-war-jud-suess.de
Fortsetzung im April in der Folge 10/12 auf www.DerInternetlink.de
Während meines Aufenthaltes in Valladolid, Spanien, vergangenes Jahr, fiel mir auf, dass viele Mädchen und Frauen Maria hießen, mit dem ersten oder zweiten Vornamen. Meine Gastmutter war eine Olga Maria. Sie kam 1963 im Dorf Villabaruz, nicht weit von Valladolid entfernt zur Welt und wurde da auch getauft. Auf Wunsch der Eltern bekam sie den Namen Olga und auf Empfehlung des Priesters einen zweiten Vornamen, einen katholischen. Der Name Olga käme ja aus dem Russischen und könnte als Bekenntnis zum Kommunismus und als Rebellion gegen den Franquismus mißverstanden werden. So kam sie zu ihrem zweiten Namen, Maria, der jedoch nur auf offiziellen Dokumenten steht, um zu zeigen, dass sie "eh" katholisch ist und somit alles "in Ordnung" sei. Olga wurde also getauft, konfirmiert und gefirmt, ging sonntags auch zur Kirche, war aber nicht gläubig. Auf den Kirchenbesuch zu verzichten, das ging während ihrer Kindheit nicht, nicht der Familie wegen, nein, sie besuchten wöchentlich die Sonntagsmesse, um nicht negativ aufzufallen. Als Olga im Schulalter dann mit ihren Geschwistern in eine Wohnung in Valladolid zog, um zur Schule gehen zu können, gehörte das tägliche Beten in der Schule zum Alltag und, dass sie in eine Mädchen- und ihr Bruder in eine Burschenschule gingen, war auch normal.
Da es im Dorf keine Schule gab, und die nächste beste Schule in der Stadt lag, mietete Olgas Mutter da eine Wohnung, in der sie ihre noch kleinen Kinder allein wohnen ließ. Sie selbst kam immer nur wochenends vorbei, sie musste sich schließlich zu Hause um das Vieh kümmern. Um die unzähligen Hühner (welche sie immer noch haben), um die Ziegen, die Schweine und um die Kuh. Das Feld bestellte sich natürlich auch nicht selbst. Genauso wenig der Gemüsegarten. Um in die Stadt zu kommen, musste sie eine zweistündige Autofahrt auf sich nehmen. Eine gute Verbindung öffentlicher Verkehrsmittel gibt es auch heutzutage noch nicht. Über die Jahre wohnten sie nicht immer in der gleichen Wohnung, einmal zogen sie um. Sie "versteckten" sich nicht, es war für die, die es wussten, dass drei Minderjährige alleine wohnten, kein großes Problem, andere bemerkten es gar nicht erst.
Heutzutage würde eine solche Wohnsituation eine größere Verwirrung auslösen, obwohl sich wahrscheinlich einige Kinder schon einmal heimlich gewünscht haben, ohne ihre Eltern zu wohnen. Wider mein Erwarten beschrieb Olga das als gar nicht so tolle Erfahrung. Abends hatten sie meist Angst vor grusligen Geräuschen, und Streit gab es auch viel mehr noch als zuhause, im Dorf.
Ein Hoch auf die Courage von Olgas Mutter und ihrem praktischen Verstand. Sie kämpfte für die Bildung ihrer Kinder gegen den katholischen Faschismus in Spanien. Ich möchte ihr die Hand schütteln.
Hollywood über den Spanischen Bürgerkrieg
Quelle: Imdb
Drei Tage aus dem Krieg
Er lag der Länge nach auf dem braunen, nadelbedeckten Boden des Waldes, das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt, und hoch über ihm wehte der Wind durch die Wipfel der Kiefern. Dort, wo er lag, ging es sanft bergab, aber ein Stück weiter unten wurde der Berghang steil, und er sah die geölte Straße, wie sie sich in schwärzlichen Windungen durch die Passenge schlängelte. Ein Fluss lief an der Straße entlang, und in der Tiefe des Passes sah er eine Mühle am Ufer und die stürzenden Wasser des Dammes, weiß im sommerlichen Sonnenschein.
»Ist das die Sägemühle?« fragte er.
»Ja.«
»Ich kann mich nicht an sie erinnern.«
»Sie wurde später gebaut. Die alte Mühle steht weiter unten, tief unten.«
Er entfaltete die Fotokarte auf dem Waldboden und betrachtete sie aufmerksam. Der alte Mann blickte ihm über die Schulter; ein alter Mann, untersetzt und stämmig, in schwarzem Bauernkittel und grauen, brettsteifen Hosen, an den Füßen die mit Hanfschnüren besohlten Schuhe. Er atmete schwer, erschöpft von dem Anstieg, und seine Hand ruhte auf einem der beiden gewichtigen Packen, die sie heraufgeschleppt hatten.
»Dann kann man von hier aus die Brücke nicht sehen.«
»Nein«, sagte der Alte. »Wir sind auf der ebenen Seite des Passes, wo der Fluß langsam fließt. Weiter unten, wo die Straße zwischen den Bäumen verschwindet, wird's plötzlich steil, und dort ist eine tiefe Schlucht...«
»Ich erinnere mich.«
»Über diese Schlucht führt die Brücke.«
»Und wo haben sie ihre Posten?«
Quelle: Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Roman 1940
Das Mädchen und der Mörder - Die Ermordung Trotzkis (1972)
War Lion ein Stalinist?
Man stelle ihn sich gut vor, diesen Mann Trotzki, zur Untätigkeit verurteilt, gezwungen, müßig mit mitanzusehen, wie das großartige Experiment, das Lenin und er begonnen hatten, in eine Art gigantischen kleinbürgerlichen Schrebergarten verwandelt wurde. Denn ihm, der den Erdball mit Sozialismus durchtränken wollte, erschien der 'Stalinstaat', so sagte er, so schrieb er, als läppisches Zerrbild dessen, was ihm ursprünglich vorgeschwebt war. Dazu kommt der tiefe, persönliche Widerwille gegen Stalin, den Kompromißler, der ihm, dem Schöpfer des Planes, ständig ins Handwerk gepfuscht und ihn schließlich vertrieben hatte. Unzählige Male hat Trotzki seinem maßlosen Haß und seiner Verachtung Stalins Ausdruck gegeben.
(...)
Trotzki ist mutig und bedenkenlos, ein großer Spieler, sein ganzes Leben ist eine Kette von Abenteuern, tollkühne Unternehmungen waren ihm sehr oft gut hinausgegangen. Zeitlebens hatte der Optimist Trotzki sich die Kraft zugetraut, Schlechtes für seine Pläne nutzen und es am Ende, wenn es darauf ankam, ausschalten und unschädlich machen zu können. Wenn Alkibiades zu den Persern ging, warum nicht Trotzki zu den Faschisten?
(...)
Shakespeares Coriolan, als er zu Roms Gegnern, den Volkskern, geht, spricht von den falschen Freunden, die ihn alle im Stich gelassen hätten. 'Sie duldetens', sagt er zu Roms Erzfeind, 'mich durch der Sklaven Stimme aus Rom gezischt zu sehen. Diese Verruchtheit bringt mich an deinen Herd, Haß, ganz meinen Neidern alles wett zu machen, bringt mich hierher.' So urteilt Shakespeare über die Möglichkeit, ob Trotzki mit den Faschisten paktiert hat.
(...)
Die Luft, die man im Westen atmet, ist verbraucht und schlecht. Es gibt innerhalb der westlichen Zivilisation keine Klarheit und Entschiedenheit mehr. Man wagt nicht, sich gegen den andrängenden Barbarismus mit der Faust zu wehren oder auch nur mit starken Worten, man tut es mit halbem Herzen, mit vagen Gesten, und die Erklärungen der Verantwortlichen gegen den Faschismus sind verzuckert und verklausuliert. Wen widerte nicht die Flauheit und Heuchelei an, mit der diese Verantwortlichen auf den Überfall auf die spanische Republik durch die Faschisten reagierten?
Quelle: Lion Feuchtwanger, Moskau 1937. Amsterdam